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Architektur und Fiktion

 

 

 

 

 

“O seltsame Natur, wie artig wirckest du!”

Thema:

In Johann Esaias Nilson’s Rocaille-Capriccio(1) (Mitte 18. Jh.) verwandelt der Duktus des Künstlers die Materie der Natur in begehbare Impasto-Pinselstriche und schafft so eine Phantasiearchitektur, welche sich einer eindeutigen stofflichen Definition entzieht.

Insoweit beide an Ovids Metamorphosen(2) (8 n. Chr.) anknüpfen, korrespondiert das Genre der Augsburger Erd-Rocaille Stiche(3) mit Matthew Barneys neuerem Filmwerk Redoubt(4) (2019) und seinen begleitenden ‘Baumskulpturen’ (Elk Creek Burn, 2018; Virgins, 2018(5)). Redoubt als Neuerzählung des Diana-Aktaeon Mythos stilisiert und verschlüsselt die Landschaft durch die Instrumentalisierung des menschlichen Körpers und seiner Gestik, während Barneys Skulpturen natürliche mit synthetischen Formen und Substanzen verquicken, was sich schlussendlich als Vergegenständlichung einer wahrhaft ‘seltsamen Natur’ manifestiert.

Auf unserer Jagd nach der Schönheit, der Bedeutung und dem Sublimen partizipieren wir an einer schöpferischen Tradition, wonach sich die künstlerische Handschrift dynamisch, obszön und mit grösster artistischer Virtuosität in die Erdkruste eingraviert.

Methode:

In diesem Wahlfach lassen wir die kartographische und die mikroskopische Verbildlichung der Natur hinter uns und bewegen uns vom Anthropozänischen zum Anthropo-szenischen. Ihr werdet die pittoreske(6) Methodik des Rokoko-Capriccios für das 21. Jahrhundert neu erfinden, indem ihr eure eigenen dynamischen Gesten unverhohlen sowohl in die reale lokale Szenerie, als auch in das globale Ökosystem virtueller Bilder einprägt. Die Unterwerfung der Formenwelt der Natur durch eine absolut kontrollierte anthropogene Kunstform wird idealerweise bisher verborgene und möglicherweise sublime Qualitäten beider Sphären offenbaren.

Nachdem ihr Ausformungen existierender künstlerischer Handschriften analysiert habt, wie etwa das Impasto von van Gogh, de Kooning oder Glenn Brown(7), Gerhard Richters Rakel-Schlieren(8), Giacomettis oder Urs Fischers(9) gekneteten Lehm, oder Michelangelos in Carrara-Marmor gemeisselte Spuren(10), werdet ihr euren eigenen genuinen ‘digitalen Schwung’ entwickeln.

Ihr werdet diese individuellen Instrumente zur Transfiguration von Erd- und Vegetationsformen, sowie zur Distorsion des Anblicks eines ausgesuchten Instagram-fähigen Tiroler ‘beauty spots’ (ca. 150 m2 Fläche) benutzen. Eure zeitgenössische Erd-Rocaille wird zwar einen aktualen geschützten Raum erzeugen, dient aber im Wesentlichen als effektuiertes und konzeptionell mikromegalisch-metamorphisches Rahmenwerk für die Landschaft aus der sie erwächst.

Eure imaginäre Architektur wird durch zwei exquisite Artefakte repräsentiert: ein gezeichnetes ‘Capriccio’ und eine modellierte ‘Stuckatur’. Die Herstellung beider beruft sich auf die impliziten künstlerischen Techniken ihrer jeweiligen historischen Vorlagen (Kupferstich, Stuckarbeit), verfolgt aber explizit eine nahtlose Assemblage kontemporärer analoger und digitaler Fabrikation, sowie natürlicher und synthetischer Materialien.

 

1 https://en.wikipedia.org/wiki/Capriccio_(art)

2 https://en.wikipedia.org/wiki/Metamorphoses

3 https://opus.bibliothek.uniaugsburg.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/3705/file/Stoll_empire_of_prints.pdf

4 https://vimeo.com/319603163

5 https://www.youtube.com/watch?v=Ad7QvjPlYCM

6 https://en.wikipedia.org/wiki/Picturesque

7 https://glenn-brown.co.uk/artworks/#selected_mediums=13,15

8 https://www.gerhard-richter.com/en/art/paintings/abstracts/abstracts-19951999-58

9 https://www.kunstgiesserei.ch/En/Work/274/Urs_Fischer_Untitled_Big_Clay_3_2008_2011#img-Urs_Fischer_Untitled_Big_Clay_3_4_5_7_8_2008_2011-0

10 https://www.galleriaaccademiafirenze.it/en/artworks/prigione-che-si-ridesta-michelangelo-buonarroti/

 

Bildlegende:

Left: J.E. Nilson, Naturae miracula (Schuster 94-97); copperplate engraving; after 1751.

Right: Glenn Brown, Olympus Mons (Detail); oil and acrylic over stainless steel, spelter and wood, 2020.

 


Lehrende:

Oliver Domeisen

Semester:

SOSE 2022

Termin[e]:

14.03.2022, 09.00h bis 12.00h
Jeweils montags 09.00 bis 12.00